Ausgangslage
Deutschland ist eine Migrationsgesellschaft. Unsere Gesellschaft ist heute heterogener zusammengesetzt als noch vor einer Generation. Dieser Trend wird sich aufgrund von Fluchtbewegungen und akutem Fachkräftemangel auch auf absehbare Zeit fortsetzen.
Die Bundesrepublik ist seit jeher stark von Migration geprägt. Von 83,2 Millionen Menschen in Deutschland haben 22,3 Millionen einen Migrationshintergrund, d.h. sie selbst oder mindestens ein Elternteil wurden nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren. Im Westen ist der Anteil dreimal so hoch wie im Osten – zu fast 95 Prozent leben sie in den alten Bundesländern.
Unstrittig ist mittlerweile, dass die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund enorm divers und vielfältig ist – hinsichtlich rechtlichem Aufenthaltsstatus, Bildung, ökonomischer und sozialer Einbettung, Benachteiligungserfahrungen sowie Zukunftschancen. Zudem zeigen sich auch deutliche Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern, z.B. fällt auf, dass Jugendliche mit Migrationsbiografie in Ostdeutschland deutlich häufiger das Gymnasium besuchen als im Westen. Ihr Anteil liegt im Osten bei 56 Prozent, im Westen bei 28 Prozent, bei den in Deutschland geborenen Jugendlichen liegt er bei 45 Prozent.
Ebenso unstrittig ist, dass die seit 2022 wieder massiv anwachsende Zuwanderung immer wieder neue strukturelle Herausforderungen an basale Integrationsressourcen (Wohnraum, Schul- und Kitaplätze usw.) schafft.
Übergreifende Problemlagen, bedingt durch weltweite Krisen wie Kriege und Fluchtbewegungen, Klimawandel, Corona-Pandemie, unwägbare wirtschaftliche Entwicklungen sowie akuter Lehrkräftemangel erzeugen insgesamt eine zunehmend komplexe Gemengelage an Problemen auf höchst unterschiedlichen Ebenen, die sich unweigerlich auch in Klassenzimmern zeigen. Mehr denn je stehen Lehrkräfte und Multiplikator*innen vor der Frage, wie sie mit der wachsenden Heterogenität, konfligierenden Wertvorstellungen, unterschiedlichen Weltbildern und Lebensentwürfen in Klassenräumen und außerschulischen Lernräumen produktiv umgehen können. Konfliktlinien ergeben sich dabei nicht allein durch sozio-kulturelle Diversität, sondern auch durch zunehmende Pluralisierung von Weltbildern, die alle gesellschaftlichen Milieus durchziehen und fragmentieren.
Die Demokratiebildung steht mit all dem also vor großen Aufgaben: Schulische und außerschulische Demokratiebildung muss die enorme Komplexität und Pluralität der politischen, sozialen, wirtschaftlichen, regionalen, internationalen und kulturellen Ebenen berücksichtigen. Die Hervorhebung von Chancen und Potentialen einer Migrationsgesellschaft muss einhergehen mit einer wünschenswert kontroversen Debatte über Probleme und Herausforderungen. Gleichwohl ist nicht jeder Konflikt oder jede schwierige Situation durch Migrationshintergrund, kulturelle Differenz oder Benachteiligung und Rassismus bedingt. Die soziale Dimension, die allzu oft nicht angemessen berücksichtigt wird, spielt eine zentrale Rolle. Trotz intensiver Debatten, die sich auf die Themen Rassismus und andere Diskriminierungsdimensionen konzentrieren, fehlt es vielerorts an der Fähigkeit, kontroverse Themen und Konflikte lösungsorientiert und damit produktiv zu behandeln. Die langjährige Arbeit der Partnerorganisation des KNWDJ mit Schulen und Bildungseinrichtungen verdeutlicht, dass es bereits durchaus geeignete Austausch- und Reflexionsmöglichkeiten gibt, die es zu verbreiten und zu implementieren gilt.
Schlussfolgerungen
Die Schilderung der Ausgangslage verdeutlicht, dass Formen des konstruktiven Umgangs mit Komplexität, Vieldeutigkeit, Widersprüchen und Unvorhersehbarkeit in einer beschleunigten und globalisierten Welt als zukünftige Basiskompetenzen zu verstehen sind.
Angesichts der komplexen Lage bedarf es im Bereich der Demokratiebildung bedarfsorientierter Beratung und Begleitung, Weiterbildung und Qualifikation für schulische und außerschulische Akteur*innen. Integraler Bestandteil der zu konzipierenden Maßnahmen ist eine umfassende Analyse und Auftragsklärung. Diese bedarfsorientierte Vorgehensweise bedeutet, dass mit den Beteiligten gemeinsam eine ‚Problemdefinition‘ erarbeitet wird. Erst auf dieser Grundlage können intervenierende Maßnahmen und Lösungsansätze konzipiert werden, die alle Beteiligten als sinnvoll erachten und zum ‚Mitmachen‘ einladen. Lehrkräfte, pädagogisches Personal und außerschulische Akteur*innen möchten oftmals Handlungsanweisungen und Leitfäden bekommen. Sie wünschen sich, dass Expert*innen direkt Lösungen in Form von Workshops anbieten und Lösungen für den Umgang mit schwierigen Situationen präsentieren. Da aber jede Problemsituation mit ihren jeweils beteiligten Akteur*innen in einem jeweils unterschiedlichen Umfeld stattfindet, kann es keine allgemeingültigen Lösungen geben.
Ziel ist eine lösungsorientierte Herangehensweise, die den komplexen Bedingungen in Schulen und Bildungseinrichtungen in differenzierter Weise gerecht wird. Darüber hinaus gilt es, Ansätze und Lernsettings zu schaffen, die einen produktiven Umgang mit divergierenden Wert- und Normvorstellungen, Identitäts- und Lebensentwürfen ermöglichen. Lehrkräfte und Akteur*innen in der außerschulischen Demokratiebildung sollten befähigt werden, mit einem perspektivisch erweiterten Blick auf die eigene Praxis die positiven Veränderungspotentiale einer Migrationsgesellschaft sowie die Schaffung‚ demokratischer Resilienz‘ im eigenen systemischen Umfeld zu schauen, um nachhaltig wirksame Maßnahmen zu generieren und umzusetzen.
Zielgruppen/Ziele auf der Ebene Ministerien, Ämter und nachgeordnete Behörden
Das KNW bietet Vertreter*innen im Handlungsfeld ‚Demokratiebildung‘ auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene mit Publikationen, Fachtagen, Vernetzungstreffen und Workshops einen Raum für den fachlichen Austausch mit Praktiker*innen aus schulischen und außerschulischen Institutionen, um einen praxisorientierten und produktiven Diskurs über Herausforderungen im Kontext einer Migrationsgesellschaft zu ermöglichen.
Zielgruppen/Ziele auf der Ebene Akteur*innen (außer)schulischer Einrichtungen
Das KNW berät und qualifiziert Multiplikator*innen, die im Themenfeld ‚Demokratiebildung in der Migrationsgesellschaft‘ tätig sind. Dies erfolgt durch Publikationen, Fachaustausche, Qualifizierungsangebote, passgenaue Beratungsleistungen für die Praxis sowie fachliche Begleitung bei der Entwicklung und Durchführung von Projektarbeiten und Qualifizierungsmaßnahmen.
Zielgruppen/Ziele auf der Ebene Multiplikator*innen
Das KNW berät und qualifiziert Akteur*innen in schulischen und außerschulischen Einrichtungen zu Fragestellungen im Kontext von Migrationsgesellschaft. Dies erfolgt durch Publikationen, Fachaustausche, Qualifizierungsangebote, passgenaue Beratungsleistungen für konkrete Anforderungen in der Praxis sowie fachliche Begleitung bei der Entwicklung und Durchführung von Projektarbeiten und Qualifizierungsmaßnahmen.